Spielzeugfreie Zeiten in der Kita

Silke Hubrig: Hier ist weniger mehr! – Spielzeugfreie Zeiten in der Kita

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Silke Hubrig: Hier ist weniger mehr! – Spielzeugfreie Zeiten in der Kita

Spielzeit in der Kita ohne Spielzeug? Undenkbar und langweilig? Für jedes Alter gibt es den Bedürfnissen angepasstes Spielzeug zu kaufen und jedes Kind hat Spielzeug zu Hause. Spielzeug kann die Entwicklung des Kindes fördern. Und dennoch sind spielzeugfreie Zeiten in der Kita pädagogisch zu empfehlen.

Der Spielzeugfreie Kindergarten ist ein Konzept

Spielzeugfreie Zeiten in Kitas finden ihren Ursprung in dem Konzept sogenannter Spielzeugfreien Kindergärten. Dieses ist Anfang der 1990er Jahre aus einem Arbeitskreis entstanden, der sich mit Suchtprävention für Kinder auseinandersetzte. Mit dem Konzept des Spielzeugfreien Kindergartens wollten sie erreichen, dass die Kinder eigeninitiativ und aktiv aus sich selbst heraus spielen und Spielideen umsetzen, ohne auf Spielzeug fixiert zu sein. Einige Kitas setzen Spielzeugfreie Zeiten – wie etwa eine Spielzeugfreie Woche oder einen festen Spielzeugfreien Wochentag – in Anlehnung an das ursprüngliche Konzept um. In der Spielzeugfreien Zeit werden für einen festgelegten Zeitraum die Spielzeuge aus dem Gruppenräumen entfernt. Hierbei geht es vor allem um Gegenstände, die vorgefertigt zum Spielen sind, wie etwa Bausteine oder Gesellschaftsspiele. In der Spielzeugfreien Zeit spielen die Kinder mit alternativen Dingen, wie Alltagsgegenständen oder Möbeln. Auch das Spielen mit Naturmaterialien, die sie draußen finden, ist möglich. Pädagogisch vorgeplante Bildungsangebote fallen weg. Die Fachkräfte stehen den Kindern zur Seite, wenn sie Hilfe brauchen, ihre eigenen Spielideen umzusetzen.


Spielzeugfreie Zeiten fördern die Entwicklung der Kinder

Spielen ohne Spielzeug lässt Kinder kreativ werden, denn sie können nicht auf vorgefertigte Spielideen, die Spielzeuge oder pädagogische Spielangebote zurückgreifen. Vielmehr sind die Kinder gefordert, aus ich selbst heraus, eigenaktiv und vollkommen selbsttätig zu wirken. Dieses fördert insbesondere die Kreativität der Kinder. Kreativ werden Menschen immer dann, wenn sie vor einem Problem stehen und noch keine fertige Lösung parat haben. Dann beginnen sie zu improvisieren und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, um etwas Neues zu erschaffen. Das bedeutet, dass Kinder dabei auch lernen, ihre Spiele zu planen und Probleme, die bei der Umsetzung ihrer Spielideen auftreten, zu lösen. Wenn ein Kind beispielsweise Pferdehof spielen möchte und das Spielpferd ist nicht da, könnte es sich überlegen, wie es Pferdehof spielen kann. Könnte ein Kind sich auf den Boden knien und das Pferd sein? Können zwei Stühle aneinander geschoben werden und ein Pferd sein? Mögliche Misserfolge gehören beim Planen und Umsetzen dazu, wenn die Umsetzung einer Spielidee nicht vorher von einem Erwachsenen durchdacht wurde oder das Spielzeug es vorgibt. Dieses erweitert die Frustrationstoleranz der Kinder. Klappt etwas nicht so wie gedacht, entwickeln die Kinder etwas Neues. Hier können die Kinder ihre Potentiale und Möglichkeiten erfahren, aus sich selbst heraus etwas zu tun – aber auch ihre Grenzen, wenn etwas nicht so gelingt, wie sie es sich zuvor gedacht hatten. Da die Kinder meist nicht alleine spielen, kommt das soziale Lernen ins Spiel. Die Kinder äußern ihre Ideen, stimmen sich ab, gehen Kompromisse ein, setzen sich durch mit ihren Ideen oder nehmen ihre Ideen zurück. Ideen werden ausprobiert, ggf. verändert oder verworfen. Wenn das vorgefertigte Spielzeug in den Hintergrund tritt, treten die sozialen Beziehungen meist in den Vordergrund der Spiele. Die Kinder spielen noch mehr miteinander. So kann es beispielsweise sein, dass sich am Ende zwei Kinder als Team zusammentun. Ein Kind steht im Vierfüßlerstand auf dem Boden und ist das Pferd und das andere Kind ist der Reiter oder die Reiterin und putzt das Pferd, streichelt es und setzt sich drauf. Mit den sozialen Fähigkeiten werden auch die sprachlichen und kommunikativen Fähigkeiten gefördert, denn die Kinder müssen miteinander sprechen, um sich im Spiel abzustimmen.


„Was können wir spielen?“ – Nicht sofort aufgeben

Es ist gut möglich, dass Kinder zu Beginn der Spielzeugfreien Zeit nicht wissen, was sie mit sich anfangen sollen und keine Spielideen haben. Vielleicht äußern sie, dass ihnen langweilig ist und sie nicht wissen, was sie machen können. Dieses unangenehme Gefühl von Langeweile sollte den Kindern zugemutet werden. Die Kinder benötigen Zeit, um sich an die neue Situation zu gewöhnen. Es ist zunächst ungewohnt, keine Spielimpulse durch Spielzeug oder Angebote der pädagogischen Fachkräfte zu bekommen. So wie viele Künstler*innen von einer schöpferischen Pause sprechen, bevor sie wieder Kreatives hervorbringen, könnte die Phase der Langeweile bei Kindern auch ähnlich eingeordnet werden. Irgendwann beginnen die Kinder, kreativ und aktiv zu werden. Die Kinder beginnen sich mit ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten auseinanderzusetzen. Das Spielzeug steht nicht zur Verfügung – aber jedes Kind hat körperliche Möglichkeiten, mit denen es sich beschäftigen kann. Es kann laufen, krabbeln, balancieren, springen usw. Und es hat Fantasie, die es nutzen kann. Es braucht das Puppengeschirr aus der Rollenspielecke nicht, denn es kann sich dieses vorstellen und aus „Lufttassen“ trinken oder auf Alltags- oder Naturmaterialien zurückgreifen. Ein Stock vom Außengelände kann zum Kochlöffel werden und die Kieselsteine zu Müsli.


Pädagogische Fachkräfte sind keine Entertainer*innen

Nicht nur für die Kinder ist es herausfordernd, ohne Spielzeug in der Kita zu spielen. Für die pädagogischen Fachkräfte ist es dieses auch. Sie sind aufgefordert, die Phasen von Langeweile der Kinder mit auszuhalten. Oft merkt eine Fachkraft in der Spielzeugfreien Zeit, wie schnell sie den Kindern in solchen Situationen Angebote und Spielvorschläge machen möchte. Wie ein Entertainer oder eine Entertainerin bereiten viele pädagogischen Fachkräfte im Regelbetrieb für die Kinder interessante Angebote und Spielimpulse vor. Die möglicherweise morgendliche Frage der Kinder „Was machen wir heute?“ entfällt in der Spielzeugfreien Zeit. Das müssen sich die Kinder nämlich selber fragen. Für die Fachkräfte ist die Rolle als teilnehmende/r Beobachter*in und Unterstützer*in im Hintergrund oft zunächst ungewohnt. Die Beobachtungen, wie Kinder mit der Spielzeugfreien Situation umgehen, auf welche Spielideen sie kommen und wie sie diese gemeinsam oder alleine umsetzen, ist sehr spannend und aufschlussreich. Das Potential der Kinder wird sichtbar. Die Fachkräfte beobachten die Kinder und signalisieren ein Interesse an ihren Spielen und Aktivitäten. Bei Bedarf unterstützen sie die Kinder, beispielsweise wenn Kinder einen Konflikt nicht miteinander selbstständig lösen können. Fachkräfte können ggf. auch ihre Ideen unterstützend zu Problemlösungen einbringen. Zum Beispiel können sie anregen, dass Blätter, die vom Baum gefallen sind, als Fahrkarten für den imaginären Zug gesammelt und genutzt werden können. Hier ist darauf zu achten, dass Fachkräfte sich nicht vorschnell ins Spiel der Kinder einmischen.


Kinder und Eltern mit einbeziehen

Da die Spielzeugfreie Zeit für Kinder und Eltern ungewöhnlich ist, sollten sie über das Vorhaben aufgeklärt und darauf vorbereitet werden. Den Kindern kann beispielsweise eine Geschichte erzählt werden, dass das Spielzeug in den Urlaub fährt. Es ist also nicht für immer weg, sondern nur für eine bestimmte Zeit. Dann kommt es wieder. Eine Möglichkeit wäre zu entscheiden, ob das gesamte Spielzeug am selben Tag verreist oder ob jeden Tag etwas Spielzeug auf die Reise geschickt wird. Die Kinder reflektieren so, mit welchem Spielzeug sie gerne und viel spielen und mit welchem nicht. Abhängig von der jeweiligen Kindergruppe sollte entschieden werden, ob die Kinder das Spielzeug selber zum Urlaubsort bringen (z.B. in einen Abstellraum oder Keller) oder ob das die Fachkräfte machen, wenn die Kinder nicht in der Kita sind. Während der Spielzeugfreien Zeit sollten pädagogische Fachkräfte die Kinder nicht nur intensiv beobachten, sondern auch regelmäßige Gespräche, wie etwa im Rahmen des Morgenkreises, mit den Kindern führen. Die Kinder sollten aufgefordert werden, zu berichten, wie es ihnen mit der Spielzeugfreien Zeit geht. Sinnvoll ist es, das Ende der Spielzeugfreien Zeit mit den Kindern abzustimmen und sie in die Gestaltung einzubeziehen. Welche Spielzeuge sollen zuerst zurück? Warum gerade diese? Welche danach? Die Eltern der Kinder sollten über das Vorhaben der Spielzeugfreien Zeit und den Sinn und Zweck dahinter informiert werden.

Durch einen Elternbrief oder einen informativen Elternabend sollen die Eltern aufgeklärt werden, dass Spielzeugfreie Zeit die Entwicklung der Kinder fördert. Die Eltern sollten beim Bringen und Abholen der Kinder immer mal wieder gefragt werden, was ihre Kinder über die Spielzeugfreie Zeit berichten. Auch ein Austausch darüber im Rahmen eines Elternabends zum Thema Konsum bzw. Suchtprävention wäre denkbar.
Im Spielzeugfreien Freispiel sollten die pädagogischen Fachkräfte die Kinder beobachten. Welche Spielformen wählen die Kinder? An welchen Orten spielen sie? Um welche Inhalte geht es in ihren Spielen? Welche Materialien nutzen sie für ihre Spiele? Wie kommunizieren die Kinder im Spiel? Wie verständigen sie sich und wie gehen sie mit auftretenden Konflikten um? Verändern sich die Rollen in der Gruppe und die Wahl der Spielpartner*innen? Welche Kompetenzen sind bei den Kindern zu beobachten? Was ist zu beobachten, was vorher nicht so wahrgenommen wurde? (Vgl. Hubrig/Michaelis 2011, S. 54) Die Beobachtungen geben Aufschluss über die Fähigkeiten und Potenziale der Kinder.


Fazit

Spielzeugfreie Zeiten sind für einige Kinder und Fachkräfte zunächst ungewohnt. Die Kinder haben viel Zeit für kreatives und fantasievolles Spielen. Sie spielen viel gemeinsam, was ihr Sozialverhalten und die Kommunikationsfähigkeit fördert. In der Spielzeugfreien Zeit gilt „weniger ist mehr.“ Die Kinder schöpfen ihre Spielideen und das Umsetzen dieser aus sich selbst heraus und lernen ihre Möglichkeiten kennen. Spielen ohne die Fixierung auf bestimmte Dinge oder auf Angebote von Erwachsenen, unterstützt die Selbstwirksamkeit, das Selbstvertrauen, die Kreativität und Phantasie der Kinder und kann letztendlich als Prävention von übermäßigem Konsum und Sucht betrachtet werden.

Quellen und Literatur

Hubrig, Silke / Michaelis, Carola: Kleine Detektive im Kaufhaus. Mit Kindern die Konsumwelt unter die Lupe nehmen. Troisdorf, Bildungsverlag EINS, 2011

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