Brigitte vom Wege & Mechthild Wessel: »Kinder – Kunst – Kita. Wie passt das zusammen?« (November 2020)

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Kleine Kinder können Kunst,

obwohl einige pädagogische Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen mitunter nicht davon überzeugt sind und die „Experimentierkunst“ der Kleinen als „Krickel-Krakel“, Schmiererei oder unnötige Materialverschwendung betrachten. Jedoch, jedes Kind ist von Anfang an neugierig und will seine Umgebung aktiv erkunden und ausprobieren.

Malen muss man kleinen Kindern nicht beibringen,

denn die kindliche Malentwicklung unterliegt ebenso einem Entwicklungsprozess wie sprechen und laufen lernen. Sie verläuft immer im eigenen Entwicklungstempo und entsprechend des individuellen Engagements. Das Kind malt sitzend auf dem Stuhl oder stehend am Tisch, im freien Sitz oder kniend auf dem Fußboden. Dabei wechselt seine Haltung häufig, so ist der Körper meist in Bewegung. Die Malbewegungen wirken dabei auf die Entwicklung kinästhetischer sowie sensorischer Wahrnehmungen. Durch das gezielte Greifen der Malgeräte und das Kritzeln trainiert es die Feinmotorik, ebenso wie die Auge-Hand-Koordination.

Bildnerische Experimente brauchen Zeit,

um Malfarben, Malgeräte und Gestaltungsmaterialien auszuprobieren und viele wiederkehrende Gelegenheiten, denn nur so können Fantasie und Gestaltungsfreude uneingeschränkt zunehmen und sich weiterentwickeln.
Eine wichtige Voraussetzung ist die Bereitstellung geeigneten Malmaterials, das jeder Entwicklungsstufe angepasst sein muss. Als Maluntergrund wählt es alle sich bietenden Flächen und Gegenstände, vorausgesetzt, es erfährt keine Einschränkungen.
Viele Materialien sind für Malexperimente sowie Gestaltungstechniken geeignet und in jedem Haushalt oder jeder Kita vorhanden und werden bereits von Kleinkindern mit Freude ausprobiert. Auch deren Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig. So können z.B. Kritzeleien auf unterschiedlichen „Malgründen“ in einem „Krickel-Krackel-Buch“ gesammelt werden, Laternen schmücken oder als „Windspiel“ aufgehängt werden.
© Wessel, Mechthild; Düsseldorf
Fragen:
  • Wohin rollt die Murmel?
  • Wie können sich die Spuren kreuzen?
  • Kann die Kugel auch langsam rollen?
Vers:
Meine Murmel rollt ganz munter,
auf dem Blatt hinauf, hinunter.
Kullert kreuz und kullert quer,
bunte Spuren immer mehr.
Auch die Kunst kleiner Kinder verlangt Aufmerksamkeit und Beachtung,

ebenso wie seine anderen Tätigkeiten. Das Kind sollte Wertschätzung erfahren, wenn es
ein Bild angefertigt hat oder verschenken möchte. Echt interessierte und offen
gestellte Fragen nach der Entstehungsgeschichte des Bildes ermöglichen, mit dem
Kind ins Gespräch zu kommen. So erfährt das Kind, dass seine Werke angenommen
und gewürdigt werden.

Wenn Erwachsene also wissen möchten, was ein Bild bedeutet,

sollten sie es sich von dem Kind erzählen lassen, um es zu verstehen und es nicht aus
der Erwachsenensicht interpretieren und bewerten. Spielfreude, Kreativität, Spontanität und
Begeisterungsfähigkeit sind wichtige Elemente im kindlichen Lern- und
Bildungsprozess. Erwachsene können diese förderlichen Adjektive den Kindern auf
ihrem Lebensweg vermitteln. Angst,
Verbote und Gebote machen dagegen keine Lust aufs Lernen, im Gegenteil, sie
behindern Neugierde, Fantasie und schränken die Sinneswahrnehmungen ein.
© Wessel, Mechthild; Düsseldorf
In jedem Kind steckt ein Künstler,

denn die Bildersprache des Kindes ist eine altersgemäße Möglichkeit, sich zu äußern und anderen mitzuteilen. Jedes Kind malt wie es ihm gerade passt und malt, womit es gerade beschäftigt ist. Ein von einem Kind gemaltes Bild ist daher kein bewusst geschaffenes Kunstwerk. Es ist ein Bild, gemalt von einem Kind. Das Malen erfüllt einen Selbstzweck und alle Kinder durchleben sozusagen ihr individuelles Mal-Entwicklungsprogramm.
In der Malentwicklungsstufe, zwischen vier und sieben Jahren,

wird die eigenständige Bildsprache des Kindes besonders deutlich: es zeichnet die Dinge ganz anders, als ein Erwachsener sie sieht. Das, was ein Kind beschäftigt, seine Bedürfnisse, Wünsche, Vorstellungen, Meinungen, Träume, Ängste usw., vermittelt es auf direkte Weise und indirekt in seinen typischen Ausdrucksformen wie Spielen, Malen und Gestalten. Seine Bilder sind kreativ gestalteten Botschaften. Sie sind eher emotional als kognitiv gesteuert und häufig in Spielhandlungen, Bildern und Objekten eingebunden.
Wenn das Kind häufig malt, wird es ihm möglich, die Dinge zu verstehen und Sicherheit in seinen Darstellungen zu erlangen. Es gewinnt Selbstvertrauen, sich gestalterisch auszudrücken. Malen in diesem Alter heißt nicht, die Welt abzubilden, sondern sie zu verstehen.

Seine Fertigkeiten im Bereich des zwei- und dreidimensionalen Gestaltens,

beim Kneten, Formen, Bauen und Werkeln entwickelt das Kind parallel zum Malen und Zeichnen. Aus dem anfänglichen Experimentieren folgt zunehmend gezielte Materialerkundung. Es erforscht formbare Materialien wie Ton, Gips oder Pappmaché und experimentiert mit plastischen Ausdruckstechniken, z.B. Figuren aus Draht, Holz oder Verpackungsmaterialien. Ein kreatives Kind kann verschiedenste Erfahrungen schnell miteinander verbinden, sie auf neue Situationen übertragen und auf diese Weise Problemlösungen finden.
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Bei den Gestaltungsprozessen sind nicht die Vorgaben und fertigen Produkte das Ziel,

sondern wichtig ist der Weg, den die Kinder selbst finden. Wenn Kinder Zeit und Gelegenheit haben und ihnen vielfältige Materialien zur Verfügung stehen, dann erfahren sie, dass kreatives Handeln Spaß macht und sie erleben Zufriedenheit. Kreatives Handeln eröffnet Möglichkeiten der Selbstverwirklichung im schöpferischen und experimentellen Umgang mit Materialien.

Kreative Gestaltungsarbeiten brauchen Zeit, Ruhe, Platz, Ausdauer und Geduld,

und sie zeugen von selbstständigem Denken und Handeln, wenn das Kind versucht, eigene Gestaltungsideen zu realisieren. Für die Kinder ist es deshalb wichtig, die Freude an der Arbeit nicht vorzeitig zu verlieren. Unterstützt wird der kreative Prozess durch die Raumatmosphäre. Sie soll durch Aufteilung und Ausstattung die Kinder zur ruhigen Besinnung führen, sie andererseits aber auch zum Aktivwerden anregen. Das Erlernen eines sachgerechten und sicheren Umgangs mit Materialien und Werkzeugen stärkt Kinder in ihrer Selbstständigkeit und Eigenverantwortung.

Kunstaktionen in der kreativen Kita,

wecken bei Kindergartenkinder das Interesse für Kunst. Allerdings ist es wichtig, möglichst keine künstlichen Situationen zu schaffen, sondern die Motivation der pädagogischen Fachkräfte auf die Begeisterungsfähigkeit Kinder zu übertragen.
Die Bildwahrnehmung von Kindern und Erwachsenen unterscheidet sich grundsätzlich. Der Erwachsene kann auf ein Repertoire an Bildzeichen und ihre Bedeutungen zurückgreifen. Er versteht abstrakte Bilder und weiß symbolhafte Bildsprache zu deuten. Kinder erkennen dagegen zunächst nur die naturgetreue Abbildung der Wirklichkeit. Gleichwohl bleiben ihnen immer mehr Bildeindrücke und Bilderzeichen im Gedächtnis haften.
Nach und nach eignen sich Kinder die Bildersprache, ihre Symbole, Bildzeichen und deren Deutung an, indem sie sie zunächst miteinander vergleichen, dann verstehen und letztlich verwenden.
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Form- und Farbgebung, Material und Gestaltungstechnik der Kunstwerke,

erwecken beim kindlichen Betrachter gewisse Empfindungen. Künstlerische Eindrücke des Werkes entstehen durch Reduktion und Konzentration der Aussage auf das Wesentliche, entsprechen der speziellen Art kindlicher Form- und Bilderfassung. Dieser Wahrnehmungsbereich wird durch das Betrachten von Kunstwerken aber auch von künstlerischen Bilderbüchern nachhaltig unterstützt. Künstlerische Gestaltungstechniken bereichern kindliche Sinneseindrücke.

Kinder, die mit Bilderbüchern, Kunstwerken und Theaterbesuchen aufgewachsen sind,

finden nachhaltiger und schneller einen Zugang zu den Kulturtechniken wie Rechnen, Schreiben und Lesen, da sie die abstrakte Symbolsprache erfassen können. Die Planung, Organisation und Ausführung von kreativen Spielgeschichten wie „Zu Besuch bei Maler Klecks“ oder Kunstaktionen wie „Der Wald als Kunstraum“ oder ein Projekt „Wir entdecken Hundertwasser“ bieten weitere zahlreiche aktive Erfahrungsmöglichkeiten.
Museumsbesuche, das Kennenlernen von Künstlern und ausgesuchter Werke,

sowie unterschiedliche Kreativangebote können den Themenbereich „Kunstwerke verstehen“ kindgerecht entwickeln. Persönliches Engagement trägt dann dazu bei, Kinder, Eltern und kunstpädagogische Fachkräfte in die notwendigen Vor- und Nachbereitungsarbeiten einzubinden.

Ein sinnvoller Abschluss eines Kunstprojektes ist beispielsweise eine Bildergalerie

im Eingangsbereich der Kita. Hier können die Kinder selbst und ihre Eltern sowie andere Bezugspersonen die gewonnenen Eindrücke, Kunsterlebnisse als auch individuellen Malergebnisse der Kinder verfolgen. Gleichzeitig erfahren die Kinder eine Würdigung und Wertschätzung ihrer Gestaltungs-Werke. Der Erfolg stärkt das Gemeinschaftsgefühlt und macht Lust auf weitere künstlerische Projekte.
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Über die Autorinnen:

Mechthild Wessel arbeitete einige Jahre als Erzieherin in unterschiedlichen sozialpädagogischen Einrichtungen, bevor sie an der Fachhochschule Münster Sozialpädagogik studierte. Sie unterrichtete am Berufskolleg des Märkischen Kreises in Iserlohn Fachpraxis Sozialpädagogik, Kinderliteratur und Spielerziehung in den Bildungsgängen Sozialpädagogik und Kinderpflege.

Brigitte vom Wege studierte an der Fachhochschule Dortmund Sozialpädagogik und absolvierte eine zweijährige Ausbildung zur Spiel- und Theaterpädagogin bei der ev. Kirche von Westfalen. Auch sie unterrichtete am Berufskolleg des Märkischen Kreises in Iserlohn Fachpraxis Sozialpädagogik, Kinderliteratur und Spielerziehung in den Bildungsgängen Sozialpädagogik und Kinderpflege.

Beide Autorinnen führen spiel- und kinderliterarische Fortbildungsveranstaltungen für Kinder, Eltern und sozialpädagogische Fachkräfte durch. Außerdem sind sie gemeinsam Autorinnen zahlreicher Fachpublikationen.