Silke Hubrig: „Nach den Ferien bin ich ein Schulkind!" – Der Übergang von der Kita in die Schule ist ein Prozess (Juli 2020)

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Jedes Kind kommt aus der Kita in die Schule. Dieser Übergang vom Vorschulkind zum Schulkind ist eine Herausforderung, die es aktiv bewältigen muss. Neben der Vorfreude, endlich zu den Großen zu gehören und ein Schulkind zu sein, stehen auch Gefühle von Unsicherheit und Angst.
Schließlich können die Vorschulkinder nicht wissen, wie es tatsächlich in der Schule sein wird. Übergänge im Lebenslauf bringen es mit sich, vertraute Strukturen zu verlassen und sich auf Unbekanntes und Neues einzulassen. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen, denn der Übergang ist nicht bewältigt, weil ein Kind nun offiziell eingeschult ist. Jeder Übergang ist ein Prozess. Das Kind muss sich in der Schule eingewöhnen. Es muss sich zurechtfinden und mit den veränderten Gegebenheiten umgehen lernen.

Der Übergang hält vielfältige Herausforderungen für Kinder bereit

Die Herausforderungen, die Kinder beim Übergang von der Kita in die Grundschule bewältigen müssen, sind vielschichtig. So müssen die Kinder beispielsweise damit umgehen lernen, ihren Status als Älteste/r einer Kindergruppe aufzugeben und als Jüngste/r in der Schule wieder anzufangen.
Sie müssen lernen, dass sie nur noch bedingt selbstbestimmt und entdeckend lernen können (wie im Freispiel der Kita), sondern bewusst zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten zu lernen, mit einem Produkt
am Ende der Lernzeit. Zudem müssen die Kinder neue Kompetenzen erwerben:
Sie müssen länger still sitzen als in der Kita, sie müssen konzentrierter zuhören, sie müssen es aushalten, dass sie längere Zeit abwarten müssen, bevor sie etwas sagen dürfen. Die Kinder müssen nun um Erlaubnis fragen, ob sie auf die Toilette gehen dürfen oder bis zur Pause warten.
Braucht das Kind Hilfe, beispielsweise wenn es sich auf dem Schulhof verletzt hat oder von einem anderen Kind geärgert wird, muss es selbstständig Erwachsene ansprechen.
Daneben müssen sich die Kinder auch auf neue Beziehungen einlassen und die Beziehungen zu Kindern und Fachkräften aus der Kita aufgeben oder sie verändern. Neu ist auch, dass die Lehrkraft nicht permanent bei den Kindern ihrer Klasse ist. Die Gruppenleitungen der Kita sind für die Kinder durchgehend viel präsenter.

Welche Fähigkeiten machen Kinder schulfähig?

Wenn ein Kind fünf, sechs oder sieben Jahre alt ist und über die Fähigkeiten verfügt, um den Anforderungen der Schule gerecht werden zu können, wird es als schulfähig bezeichnet. Es gibt keine allgemeingültige Liste von Fähigkeiten, die sich Kinder vor der Einschulung in der Kita angeeignet haben sollten. Es lassen sich jedoch Fähigkeiten benennen, die den Schulstart erleichtern. So sollten die Kinder sich etwas merken und logisch denken können. Zudem sollten sie schon ein wenig über Zahlen und Mengenbegriffe wissen. Hinsichtlich ihrer sprachlichen Fähigkeiten sollten die Kinder über die Grundfertigkeiten der deutschen Sprache verfügen. Sie sollten verstehen können, was gesagt wird und sich adäquat sprachlich äußern können. Im Bereich des Sozialverhaltens sollten Kinder in der Lage sein, Kontakte zu Kindern aufzunehmen und mit ihnen zu kooperieren. Die Kinder sollten sich einerseits in Gruppen einfügen und sich anpassen können und sich andererseits auch als Individuum behaupten können.
Sie sollten es schaffen, Konflikte mit anderen Kindern selbstständig zu lösen oder sich die Hilfe eines Erwachsenen dafür zu holen. Auf der emotionalen Ebene sollten Kinder von ihrer Selbstwirksamkeit überzeugt sein.
Unbekannten Dingen sollten die Kinder neugierig und wissbegierig gegenüberstehen. Sie sollten die Fähigkeit haben, starke Gefühle und Impulse zu kontrollieren. Die Kinder sollten sich über einen bestimmten Zeitraum auf eine Sache konzentrieren können. Sie sollten in der Lage sein, sich für Sachen zu motivieren und ein gewisses Maß an Anstrengungsbereitschaft aufbringen können (Vgl. Schraml, 2018). Grundsätzlich sollten die Kinder körperlich gesund sein. Dieses wird bei der verpflichtenden schulärztlichen Untersuchung abgeklärt.

Sprache als Voraussetzung für einen guten Schulstart

Pädagogische Fachkräfte sollten die Sprachentwicklung der Kinder gut im Blick haben. Sprache ist grundlegend bedeutsam, damit die Kinder mit anderen Kindern Beziehungen aufbauen können, in der Lage sind, den Ausführungen und Anweisungen der Lehrerinnen und Lehrer zu folgen, sowie Lesen und Schreiben zu lernen. Insbesondere im Sinne der Chancengleichheit für alle Kinder, sollte die Sprachbildung in der Kita einen zentralen Stellenwert im pädagogischen Alltag einnehmen. Im letzten Jahr vor der Einschulung wird der Sprachstand der Kinder erhoben, entweder beim Gesundheitsamt oder in der kinderärztlichen Praxis.
Bei Bedarf bekommen die Kinder eine spezielle Sprachförderung. Alltagsintegrierte Sprachbildung kann allerdings generell in der Kita umgesetzt werden. Hierzu zählen beispielsweise das handlungsbegleitende Sprechen,
Erzählkreise und dialogische Bilderbuchbetrachtungen.

Resiliente Kinder bewältigen Übergänge leichter

Pädagogische Fachkräfte haben die Aufgabe, Kinder auf die Schule vorzubereiten. Dies ist ein Schwerpunkt im letzten Jahr Jahr vor der Einschulung der Kinder. Die Vorbereitung bedeutet nicht, dass sie ihnen die Zahlen von 1 bis 10 beibringen müssen oder links und rechts unterscheiden lernen. Wesentlich wichtiger ist der Aufbau der Resilienz, also der psychischen Widerstandsfähigkeit der Kinder.
Resiliente Kinder sind besser in der Lage, mit den Herausforderungen und Veränderungen des Übergangs umzugehen. Zu diesen Resilienzfaktoren zählen zum Beispiel eine gute Selbst- und Fremdeinschätzung und das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Pädagogische Fachkräfte sollten den Kindern zunehmend mehr Tätigkeiten zutrauen, z. B. in die Nachbargruppe zu gehen und nach einem bestimmten Material zu fragen. Die Erfolgserlebnisse dabei sollten garantiert sein, so dass das Kind Selbstvertrauen in sich und seine Fähigkeiten entwickelt. So wird es optimistischer an neue Aufgaben gehen können. Um in der zukünftigen Klasse zurecht zu kommen, sollten die Kinder verstärkt im sozialen Miteinander gefördert werden. Am Ende der Kindergartenzeit haben die Kinder eine Empathiefähigkeit entwickelt und sollten lernen, dieses im Umgang mit anderen zu nutzen. Es bestehen spezielle resilienzfördernde Programme, die von externen Fachkräften in Kitas durchgeführt werden können, wie etwa „Papilio“, „Kinder Stärken!“ oder „PRiK – Prävention und Resilienzförderung in der Kindertagesstätte“.

Einen Einblick in die echte Schule geben

In vielen Fällen ist es wichtig, dass die Vermutungen und Phantasien, die Kinder darüber haben, wie es in der Schule zugeht, ins rechte Licht gerückt werden. Diese entsprechen nicht immer der Realität, denn sie entspringen aus Erzählungen, Büchern oder Filmen. Pädagogische Fachkräfte sollten Kindern deshalb einen realistischen Einblick in die Schule geben. Hierbei müssen sie mit den betreffenden Grundschulen kooperieren. So sollten die Kinder die Schule, in die sie kommen werden, besichtigen. Sie sollten die Gelegenheit haben, einen „echten Unterricht“ mitzuerleben. Vielleicht ist es möglich, dass die Grundschulkinder
die zukünftigen Mitschüler*innen zu einer Projektpräsentation, einem Theaterstück, Bilderbuchkino, Schulfest o.ä. einladen. Manchen Kitas und Schulen ist es auch möglich, ein Patenprojekt vor Schulbeginn zu starten.

Rituale kennzeichnen den Übergang

Jedes Kind in der Kita kennt die Rituale der Kinder, die in die Schule wechseln. In jeder Kita sehen die Rituale anders aus. Es kann z.B. eine gemeinsame Übernachtung in der Kita, eine Übernachtung im Schullandheim oder eine Schulranzenparty sein. Die Kinder freuen sich auf die Rituale, die den wichtigen
Übergang verdeutlichen. Als eine Art Ritual können auch die sogenannten Schulvorbereitungsgruppen bezeichnet werden. Die Kinder aus jeder Gruppe, die im kommenden Sommer zur Schule wechseln, treffen sich regelmäßig in angeleiteten Kleingruppen und beschäftigen sich dort mit Themen, die die Schule und den Übergang zur Schule betreffen. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Kinder über die Vorfreude und Befürchtungen sprechen können, Schule zu spielen und auch das Üben des Schulweges.

Und wenn das Kind nicht schulfähig erscheint?

Manchmal haben pädagogische Fachkräfte bei einem Kind den Eindruck, dass es zum gegebenen Zeitpunkt noch nicht schulfähig werden würde. Beispielsweise kann das Kind nicht aufmerksam bei einer Sache bleiben oder es hat erhebliche Probleme, mit anderen Kindern gemeinsam etwas zu spielen. Die pädagogische Fachkraft sollte lieber zu früh als zu spät Kontakt zu den Eltern aufnehmen und ihre Beobachtungen schildern. Manchmal verhält sich das Kind zu Hause auch ganz anders. Bei
Bedarf sollte es in der kinderärztlichen Praxis vorgestellt werden. Gegebenenfalls kann dem Kind im letzten Jahr vor der Einschulung therapeutische Hilfe angeboten werden. Bei einigen Kindern ist es auch sinnvoll, wenn sich Eltern und Fachkräfte über alternative Schulformen informieren, die den Fähigkeiten des Kindes und der gesamten Familiensituation mehr entsprechen als eine Regelschule.

Fazit

Die Kinder werden beim Übergang von der Kita in die Schule mit vielschichtigen Herausforderungen konfrontiert. Der Prozess des Übergangs beinhaltet das Annehmen und den Umgang mit all diesen Veränderungen. Ein neues Umfeld mit neuen Beziehungen, ein anderer sozialer Status, Anforderungen an ihre personalen, sozial-emotionalen und kognitiven Fähigkeiten werden gestellt und ein gewisser Druck vom „Ernst des Lebens“ kommt auf die Kinder zu.
Es liegt auf der Hand, dass das nicht von heute auf morgen gehen wird. Pädagogische Fachkräfte sollten die Kinder auf den Übergang vorbereiten und unterstützen. Dabei ist neben den praktischen Vorbereitungen und Auseinandersetzungen mit dem Thema Schule, die Stärkung der Resilienz von besonderer Bedeutung, damit die Kinder innerlich gestärkt in den neuen Lebensabschnitt gehen.
Quellen und Literatur:

  • Berry, Gabriele: Den Übergang in die Schule erfolgreich meistern. Berlin, Cornelsen, 2013.
  • Schraml, Petra: Wann ist ein Kind „schulfähig?“ Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung
    im Bildungswesen. 2018. Download auf der Website des Bildungsserver unter den Stichworten Innovationsportal/Bildungsplusartikel.