Silke Hubrig: >>Alltagsrassismus in der Kita<< (Februar 2022)

©stock.adobe.com / Rawpixel.com
Rassismus in der Kita? Undenkbar, dass eine pädagogische Fachkraft ein Kind aufgrund seiner kulturellen Herkunft bewusst schlecht behandelt. Dennoch ist ein alltäglicher Rassismus in jeder Kita zu finden.

Rassismus ist eine besondere Form der Diskriminierung
Der Begriff Rassismus leitet sich von Rasse ab. Rasse ist ein Begriff aus der Tierwelt, in der er Tiere mit gemeinsamen Merkmalen bezeichnet. Diese unterscheiden sich von Tieren mit anderen Merkmalen. Rasse auf den Menschen zu übertragen ist biologisch unzulässig, weil es keine Menschenrassen gibt.(Vgl. Was ist Rassismus? | FRIEDEN FRAGEN (frieden-fragen.de). Beispielsweise sind die weißen Europäer*innen mit den Ostafrikaner*innen genetisch enger verwandt, als Ostafrikaner*innen mit indigenen Südafrikaner*innen. Warum gibt es keine „Menschenrassen“ – Tierrassen gibt es doch auch? - SWR Wissen Die Genetik der Menschen unterscheidet sich also viel zu wenig, um Personengruppen in Rassen unterteilen zu können. Rassismus meint, dass eine Personengruppe aufgrund eines bestimmten Merkmals als minderwertig angesehen, abgewertet und dementsprechend behandelt werden und andere Personengruppen als ihnen überlegen und wertvoller.

Rassismus findet auf unterschiedlichen Ebenen statt
Rassismus äußert sich nicht nur in politisch rechten Parolen oder handgreiflichen Übergriffen auf Menschen mit Migrationshintergrund. Rassismus kann sich genauso in abwertenden Witzen, Bemerkungen, Ablehnung einer Person usw. äußern. Dieses kann auch durch Medien geschehen.

Kindermedien reproduzieren stereotype Bilder
Eigentlich sollten Sachbücher über die Welt aufklären. Leider wird die Realität oft verfälscht dargestellt, weil sie sich auf stereotype Bilder von Personengruppen beschränken, wie etwa Bilder von Afrikaner*innen in einer Hütte oder Europäer*innen in einem Reihenhaus. Die europäischen Menschen werden durchweg weiß dargestellt. Auch auf Weltkarten, die mit kleinen Bildern für Kinder versehen sind, werden Stereotype verbreitet: Ein Inuit, der einen Fisch angelt, eine chinesische Frau im Kimono, eine deutsche Frau im Dirndl und ein tanzender, schwarzer Afrikaner im Baströckchen. Rassistische Stereotype verfestigen ein Bild in den Köpfen von Kindern, welches nicht der Realität entspricht.

In populären Kinderfilmen sieht es oft nicht vielfältiger aus. Durch die gleichnamige Zeichentrickserie Yakari gehen viele Kinder davon aus, dass Yakari ein Abbild „des Indianers“ ist. Woher sollten die Kinder reales Wissen über unterschiedlichste Stämme der Ureinwohner*innen Amerikas mit unterschiedlichsten Lebensweisen ansonsten bekommen? Sie können nur die Informationen aufnehmen, die ihnen geliefert werden - und das ist in diesem Falle das Stereotyp vom Ureinwohner Amerikas, der mit Kriegsbemalung und Lendenschurz Büffel jagen geht. Mit dem Wissen um Stereotypen ist Kindern wenig geholfen, denn die Welt ist vielfältig und als solche muss sie auch vermittelt werden.

Auch der Mangel an schwarzen Menschen in den Medien ist rassisch. Schwarze Kinder haben kaum Identifikationsfiguren, anders als weiße Kinder. Hier muss man nur kurz überlegen, welche Hautfarbe die Helden und Heldinnen der Kinderbücher und Fernsehserien haben. Was sagt das Fehlen über die Anerkennung gegenüber schwarzer Menschen aus?

Diskriminierungen unter Kindern
Entwicklungspsychologisch sind Kinder im Kindergartenalter in einer Phase, in der sie die Eindrücke der Welt stark sortieren und kategorisieren, um sie zu verstehen. Sie nehmen Unterschiede wahr und denken in Kategorien wie „die Jungen“ und „die Mädchen, „die Großen“ und „die Kleinen“ oder „weiße Menschen“ und „schwarze Menschen“. Im Zuge der Identitätsbildung ordnen sie sich auch selber in eine soziale Gruppe ein. Die Kinder lernen schnell, welches gesellschaftliche Wissen und damit einhergehende Bewertungen mit den einzelnen Kategorien verbunden sind und übernehmen dieses aus ihren Beobachtungen und das was Bezugspersonen und Medien ihnen vermitteln. Die Gruppen, die ihnen vertraut sind, stufen sie als sympathischer und besser ein, als die Personen mit den Merkmalen, die ihnen fremd sind (vgl. Pejic 2017, S. 137). Problematisch wird es, wenn aus diesem kategorisierenden Denken, ein diskriminierendes Denken mit ebensolchen Handlungen wird. So kann es durchaus sein, dass ein weißes Kind nicht mit einem schwarzen Kind spielen möchte, weil es schwarz ist. Kinder brauchen die einfühlsame Hilfe von Erwachsenen, damit sie ihr Denken und Verhalten anderen Personen gegenüber reflektieren können.

Das eigene Schubladendenken reflektieren
Nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene denken in Kategorien. Anders als ihre ihnen anvertrauten Kinder sind sie allerdings in der Lage ihre Denkweise und ihr Verhalten zu reflektieren. Das macht die Professionalität einer pädagogischen Fachkraft aus. So sollte sich eine Fachkraft damit kritisch auseinandersetzen, ob sie Mehmet in einen „Topf“ mit Ali wirft, weil sie beide eine türkische Einwanderungsgeschichte haben. Schaue ich mir Mehmet und seine Familie wirklich genau an? Sehe ich lediglich die Unterschiede zu mir oder auch die Gemeinsamkeiten?

Sprache kann diskriminieren
Ein besonderes Augenmerk muss auf den von Fachkräften benutzte Sprachgebrauch gelegt werden. Einige diskriminierende Sprüche, Liedtexte, Reime oder Spiele für Kinder kursieren in Kitas. Ein Spruch, wie „Ein Indianer kennt keinen Schmerz!“, ein Spiel „Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann?“ oder das Lied „Alle Kinder lernen lesen. Indianer und Chinesen ...“ sind diskriminierend uns sollten vermieden werden. Glücklicherweise hat sich mittlerweile durchgesetzt, dass nicht mehr von Negerküssen, sondern von Schokoküssen die Rede ist und es in der Neuauflage von Pippi Langstrumpf nun vom Südseekönig – und nicht mehr vom Negerkönig - gesprochen wird. Auch Wörter, wie schwarzfahren, Schwarzmarkt oder schwarz sehen haben in der deutschen Sprache negative Bedeutungen (auch wenn diese Worte nicht zwangsläufig auf die schwarze Hautfarbe zurückzuführen sind). Erwachsene sind oft verunsichert darüber, welche Begriffe sie benutzen dürfen oder sollen. Um nur einige korrekte Begriffe zu nennen für schwarze Menschen sind auch „schwarze Deutsche“, „Afrodeutsche“ oder auch „People of Color“ nicht diskriminierend. Viele Ureinwohner*innen der Arktis fühlen sich durch die Bezeichnung Eskimo beleidigt und ziehen das Wort „Inuit“ vor, was Mensch bedeutet. Die Ureinwohner*innen Amerikas werden als solches bezeichnet und nicht als Indianer*innen. (Vgl. Hubrig 2021, S. 28) Auch der Begriff „Hautfarbe“ für „beige“ oder „rosa“ muss aus dem Vokabular des Kita – Alltags verbannt werden. Es gibt viele Hautfarben im Kindergarten, in der eigenen Stadt und auf der ganzen Welt.

Auch positiven Rassismus vermeiden
„Oh, was für schöne Haare du hast! Die will ich so gerne mal anfassen“ sagt die Fachkraft zum Kind mit afrikanischer Herkunft. Die bunten Kopftücher deiner Mutter sehen immer so schön aus!“ wird dem Kind mit türkischem Hintergrund erzählt. Auch wenn es hier um Komplimente geht, ist von Rassismus zu sprechen, von positiven Rassismus. Auch dieser verletzt die Kinder. Durch positiven Rassismus bekommen die Kinder immer vorgehalten, dass sie anders sind als die anderen. Die Kinder werden aufgrund eines Merkmals in eine Schublade gesteckt und es wird nicht genau hingeschaut, mit welchem Individuum es die Fachkraft eigentlich wirklich zu tun hat. Nett und interessiert gemeint ist auch die Frage an ein Kind mit Migrationsgeschichte: „Woher kommst du?“ Diese Frage vermittelt dem Kind das Gefühl: „Du bist anders. Du kommst nicht von hier. Du gehörst nicht dazu.“ Wieso sollte das Kind beispielsweise daran denken, dass die Großeltern aus Vietnam kommen, wenn das Kind selber in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und möglicherweise selber noch nie in Vietnam war?

Eine Kita für alle Kinder
Negative und positive rassistische Erfahrungen können Kinder zutiefst beschämen und verunsichern. Dieses führt dazu, dass der Aufbau eines positiven Selbstwertgefühls behindert wird. (Vgl. Rassismus in der Kita: Expertinnen warnen vor schweren Folgen - Politik – Tagesspiegel) In der Kita darf keinerlei diskriminierendes Verhalten geduldet werden. Alle Kinder müssen erfahren, dass die Kita ein heimatlicher Schutz- und Bildungsraum für sie ist, in dem jedes Kind genauso richtig und gut ist, wie es ist. Kinder mit Migrationsgeschichte müssen vor Rassismus geschützt werden und Kinder, die nicht von rassistischen Erfahrungen betroffen sind sollen lernen, dass Rassismus nicht zu akzeptieren ist und sie sich gegen Rassismus einsetzen können.

In der Kita sollten Spielmaterialien (Puppen, Rollenspielmaterialien, Gestaltungsmaterialien, Puzzles,...) und Medien (Bilderbücher, Geschichten) vorhanden sein, mit denen sich Kinder aller Hautfarben und kulturellen Hintergründen identifizieren können. Die Präsenz aller Kinder und die gleichwertigen Rollen in Spielen, Liedern, Geschichten usw. muss von Fachkräften regelmäßig überprüft, und Materialien ggf. verändert werden. Allen Kindern muss ein Zugang zur Vielfalt eröffnet werden und grundsätzlich gilt: Gemeinsamkeiten, die es viel mehr gibt als Unterschiede zwischen Menschen, sollten stets herausgestellt werden.
Quellen 
  • Ali-Tani, C. (2017): Wie Kinder Vielfalt wahrnehmen: Vorurteile in der frühen Kindheit und die pädagogischen Konsequenzen. [https://www.kita-fachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen//KiTaFT_AliTani_2017_WIeKinderVielfaltwahrnehmen.pdf] (letzter Aufruf 18.11.2021)
  • Fajembola, Olaolu/Niminde-Dundadengar: Gib mir mal die Hautfarbe. Mit Kindern über Rassismus sprechen. Weinheim, Beltz Verlag, 2021
  • Hubrig, Silke: Kein Platz für Schubladendenken. Vorurteilsbewusst erziehen. Berlin, Cornelsen Verlag, 2021
  • Pejic, Lena (2017): „Will nicht mit ihr spielen!“ Haben Kinder etwa Vorurteile? In: Lamm, Bettina (Hrsg): Handbuch Interkulturelle Kompetenz. Kultursensitive Arbeit in der Kita. Freiburg im Breisgau
  • Rassismus in der Kita: Expertinnen warnen vor schweren Folgen - Politik - Tagesspiegel (letzter Aufruf 03.12.2021)
  • Was ist Rassismus? | FRIEDEN FRAGEN (frieden-fragen.de) (letzter Aufruf 06.12.2021)
  • Warum gibt es keine „Menschenrassen“ – Tierrassen gibt es doch auch? - SWR Wissen (letzter Aufruf 06.12.2021)
  • Alltagsrassismus in der Kita? (kita-fuchs.de) (letzter Aufruf 06.12.2021)