Herausgeberinterview: Kompetente Pflege

Thomas Kratz ist Herausgeber der bereits für die generalistische Pflegeausbildung geeigneten Themenheftreihe "Kompetente Pflege". Seit über 20 Jahren ist Herr Kratz in der Pflege- und Gesundheitsbildung und seit ca. 10 Jahren in der Lehrerausbildung am staatlichen Studienseminar und an der Universität (PTHV) in Vallendar tätig. Dort werden durch moderne pädagogische Ansätze die Lernenden mit ihrer Lebens- und Berufswelt in den Mittelpunkt gestellt.
© Thomas Kratz, privat
Herr Kratz, Sie geben in der Westermann Gruppe die Themenreihe "Kompetente Pflege" heraus. Was hat Sie zur Konzeption der Reihe bewogen, bzw. welche Idee steckt dahinter?

Um im Klassenverband über gemeinsame Problemstellungen sprechen zu können, ist es günstig, wenn eine Lernsituation zum Lernanlass verwendet wird. Im konstruktivistischen Verständnis ist es notwendig über die eigenen Ideen und Lösungen mit anderen zu sprechen, damit ein Abgleich erfolgen kann. Zwar gibt es Sammlungen von Lernsituationen, in der Themenreihe "Kompetente Pflege" sind bezugnehmend auf das Krankenhaus St. Johannes sowie dem Altenpflegeheim Haus Großeichen mit den unterschiedlichen Abteilungen und Bereichen die Lernsituationen stimmig ausgerichtet. Die Lernenden wandern sozusagen durch die Einrichtungen der ambulanten Pflege, der stationären Altenpflege oder im Akutbereich. Dabei ist keine Reihenfolge vorgegeben, sondern kann dem ortgebundenen Arbeitsplan beziehungsweise Curriculum spezifisch durchlaufen werden. Den einzelnen Stationen sind ausgewählte Personen in unterschiedlichen Funktionen zugeordnet. Diese wiederkehrende Struktur vereinfacht das Einsteigen in die jeweiligen Lernsituationen.
Die Themenhefte bilden die aktuellen pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse ab. Inwieweit können nicht nur Schülerinnen und Schüler in der Ausbildung, sondern auch erfahrene Pflegekräfte Ihre Reihe zum Erlernen bzw. zum Auffrischen neuer Inhalte nutzen?

Die Themenheftreihe ist themenspezifisch aufgebaut. Das heißt, es gibt zu den meisten beruflichen Themenfeldern ein eigenes Themenheft, welches von der Fachkraft in die Hand genommen werden kann ohne sich durch allgemeine Grundlagen durcharbeiten zu müssen. Zudem findet eine regelmäßige Überarbeitung der einzelnen Themenhefte durch ein Kompetenzteam des Verlages statt, so dass die Inhalte aktuell gehalten werden. Das Kompetenzteam setzt sich aus Fachkräften aus unterschiedlichen akademischen und pflegerelevanten Berufen zusammen.
Aber die Themenhefte sind nicht nur für Fachkräfte und Ausbildungsgänge relevant, sondern auch für pflegenahe Bildungsgänge unterschiedlicher Art; beispielsweise für die Berufsfachschulen, Berufsoberschulen oder Fachschulen für Heilerziehungspflege, Heilpädagogen und Erzieher.
In Umfang und Gestaltung sind die Themenhefte der Reihe "Kompetente Pflege" anders aufgebaut als die Standardwerke in der Pflege. Warum?

Immer wieder wurde uns zurückgemeldet, dass lange Textpassagen anstrengend sind. Insbesondere bei Lernenden, die in der Textarbeit nicht geübt sind. Deshalb haben wir eine größere Schriftgröße gewählt, die das Lesen vereinfacht. Hinzu kommen textliche Unterbrechungen, die ein abschnittsweises Lesen möglich werden lassen. Bedingt durch die Struktur wurden auch sämtliche Inhalte kritisch hinterfragt und gegebenenfalls weggelassen, damit die Informationsmenge erfassbar und bearbeitbar bleibt.
Und natürlich die bereits erwähnten aufeinander abgestimmten Lernsituationen, die ein problemorientiertes Lernen ermöglichen.
Wie wählen Sie die Themen für die Reihen aus?

Die Themenüberschriften für das jeweilige Themenheft sind zunächst an den Lernfeldern der Bundeseinheitlichen Altenpflegeausbildung, Materialien für die Umsetzung der Stundentafel orientiert und mit §5 des Pflegeberufegesetzes abgeglichen. Hinzu kommen Themen, die eine hohe Praxisrelevanz besitzen, auch wenn sie noch nicht im Lehrplan abgebildet werden. Durch die beiden Einrichtungen Krankenhaus St. Johannes und Altenpflegeheim Haus Großeichen können die Lernsituationen ausbildungs- oder bildungsgangspezifisch genutzt werden.
In Ihren Themenheften nutzen Sie den innovativen Ansatz der Generalistik für die Pflegeberufe.
Was ist das Besondere an Ihrem Konzept?

Die Besonderheit ergibt sich aus der beruflichen Realität. Immer mehr Menschen im höheren Alter müssen Leistungen des Krankenhauses in Anspruch nehmen. Bedingt durch die kurze Verweildauer sind behandlungsnotwendige Maßnahmen zumindest temporär außerhalb des Krankenhauses notwendig, wodurch eine sektionsübergreifende Ausbildung notwendig wird. In der Reihe "Kompetente Pflege" werden entsprechend der berufstypischen Situationen vielfältige Informationen und Lernsituationen angeboten, um so eine breite Ausbildung gewährleisten zu können.
Wie setzen Sie den innovativen Ansatz in den Themenheften um?

In den letzten Jahren haben einzelne Lehrkräfte mit ihren Auszubildenden eine Mustereinrichtung entwickelt, an der die verschiedenen Lernsituationen aus unterschiedlichen Perspektiven problematisiert werden. Durch die Einrichtung konnten Finanzierungsprobleme von den Lernenden selbst integriert und nach möglichen Lösungen für den beruflichen Alltag entwickelt werden. Auch Teams mit Fallbesprechungen wurden möglich. Allerdings benötigt das Vorbereiten einer Mustereinrichtung zunächst viel Zeit, auch wenn der Nutzen sehr hoch ist. Die Reihe "Kompetente Pflege" bietet den Ausbildungsinstitutionen eine ausdifferenzierte Struktur an, die von Anfang an genutzt werden kann. Bei mir zeichnen die Auszubildenden am Anfang ihrer Ausbildung ein Wandplakat mit der Einrichtung und einer Musterstation. Sie können "ihren" Arbeitsplatz einrichten und ich kann daran die Ausbildungsrahmenbedingungen thematisieren. Danach zieht der erste Patient ein, der begrüßt, gebettet und gewaschen werden muss. Daran anschließend werden erste hygienische und arbeitsgesunderhaltene Maßnahmen besprochen. Mit zunehmender Erfahrung konstruieren die Auszubildenden ihre Patienten mit den entsprechenden Pflegeplänen selber.
Neben der schülerorientierten Gestaltung, steht bei Ihnen auch die Handlungskompetenz im Vordergrund. Wie wird diese in Ihrem Konzept zum Ausdruck gebracht?

Ich bin fest der Meinung, dass die Pflege ein Entscheidungsberuf ist, wenn das Prinzip der vollständigen Handlung zugrunde gelegt wird. Es gibt nur wenige Berufe, die in einer kurzen Zeit selbständige Entscheidungen treffen müssen, die eine hohe Relevanz für das Leben der anvertrauten Person (Patient, Bewohner) besitzen. Deshalb muss die Förderung der Entscheidungskompetenz in der Ausbildung gefördert werden. Eine Ausbildung, die im Schwerpunkt auf Grundlagenwissen und Regelwissen hin ausgerichtet ist, wird dem beruflichen Anspruch nicht gerecht. In der Themenreihe werden den Lernenden Lernsituationen angeboten, die mehr als eine Lösung zulassen. Erst durch das situative Abwägen im geschützten (Schul-)Raum können Entscheidungen getroffen werden, die fachlich begründet werden können. Dabei nimmt die Komplexität der Lernsituationen im Laufe der Ausbildung zu.
Was motiviert Sie zur Arbeit an weiteren Themenheften? Welche Themen werden bzw. möchten Sie in Zukunft in der Reihe "Kompetente Pflege" aufgreifen?

Die Erleichterung in der Unterrichtsvorbereitung und im Unterricht aus zwei Gründen. Zum einen kann ich auf vorgefertigte Texte im Niveau der Lernenden zugreifen. Zum anderen bieten mir die vielfältigen Aufgaben und Lernsituationen genügend Lernanlässe. Zur Weiterarbeit bieten sich die Lernsituationen im BuchPlusWeb an.

Es sind noch einige Themenbereiche geplant. Zum Beispiel nimmt die Digitalisierung in Deutschland in großen Schritten Fahrt auf. Auch im pflegerischen und medizinischen Bereich entstehen viele innovative Konzepte und Angebote. Hier ist sicherlich ein Schulungsbedarf entstanden, der in einem Themenheft aufgegriffen werden kann.
Ein zweiter großer Punkt bildet die Kultursensible Pflege ab. Welche Rituale sind für Menschen einer anderen Kultur notwendig und sollten bei der Durchführung berücksichtigt werden? Aber auch die Frage, in wie weit ist eine Übernahme anderer kultureller Verhaltensweisen notwendig oder gibt es gemeinsame Werte und Verhaltensmuster, wird immer wichtiger.
Darüber hinaus kommen sicherlich weitere Themenhefte hinzu, die sich durch Anfragen und Wünschen von Lesern ergeben.