Kompetenzen in Coronazeiten fördern

Mittlerweile hat sich das Leben in vielen Betrieben wieder etwas normalisiert, Mitarbeiter und Auszubildende kehren an ihre Arbeitsplätze und die Schulen zurück. Doch das ist nicht bei allen so: Vielfach sind auch Auszubildende immer noch im Homeoffice, in so manchem Handwerksbetrieb sind zudem alle anderen Mitarbeiter in Kurzarbeit. Wie können Auszubildende trotzdem in dieser Zeit gut betreut/ beschäftigt werden und wie verhält es sich mit der Kompetenzentwicklung? Wir sprachen darüber mit Frau Jutta Mohamed-Ali von ArsAzubi!
Frau Mohamed-Ali, kann man überhaupt mit Azubis Kompetenzen entwickeln, wenn sie sich im Homeoffice und nicht am Arbeitsplatz befinden?
Frau Mohamed-Ali: Ja, selbstverständlich. Wobei wir unterscheiden müssen, ob die Auszubildenden und ihre Betreuer im Homeoffice, oder die Mitarbeiter in Kurzarbeit sind.

Dort, wo auch Ausbilder und Ausbildungsbeauftragte im Homeoffice, aber normal weiterbeschäftigt werden, findet der Austausch online statt. Meist kann auf die Firmennetzwerke zugegriffen werden, Video-Konferenzen ersetzen das persönliche Miteinander und Aufgaben werden „fast wie immer“ erledigt. Und wer Aufgaben erledigt, entwickelt auch Kompetenzen.

Aber da, wo alle Mitarbeiter in Kurzarbeit sind und gar nicht beschäftigt werden dürfen, da fehlt und fehlte auch die Betreuung, z.B. im Handwerk, im Veranstaltungssektor oder in der Gastronomie. Und häufig sind das auch Unternehmen, die digital noch nicht gut aufgestellt sind. Dort, wo die Aufgaben entfallen, die Betreuung fehlt und Auszubildende auf sich allein gestellt sind, ist es auch mit der Kompetenzentwicklung schwierig, aber möglich.

In Hotels wurden beispielsweise Azubis nicht ins Homeoffice geschickt, sondern unter Beachtung der Hygienekonzepte im Hotel weiter ausgebildet. Was bedeutete, dass Mitarbeiter, die offiziell in Kurzarbeit sind, tageweise abwechselnd die Nachwuchskräfte betreuten. Diese Anwesenheitszeiten werden dann irgendwie hinterher als Freizeit/Überstunden verrechnet. Das bietet aber die Möglichkeit, intensiv (ohne Gäste) mit viel Zeit Dinge zu probieren, zu testen, zu üben, die sonst gar nicht möglich wären. Denken Sie nur mal an die Koch-Azubis.
Wie sieht eine Kompetenzentwicklung im Homeoffice konkret aus?
Frau Mohamed-Ali: Wenn betriebliche Aufgaben nicht live am Arbeitsprozess bearbeitet werden können, müssen Ausbilder ihr berufspädagogisches Wissen über die Lehrmethoden hervorholen: Leittexte und Lernaufträge schreiben, Praxisfälle schriftlich aufarbeiten und sich kleinere Projekte, die Zuhause und online erarbeitet werden können, einfallen lassen. Das geht mit fast allen Themen.

Genauso wie Lehrer an Schulen plötzlich gezwungen waren, umzudenken und Unterrichtskonzepte online umzugestalten, mussten und müssen Ausbilder das auch tun. Führen auf Distanz war und ist hier für die meisten Ausbilder die größte Herausforderung.

Gut beraten war und ist hier jeder Ausbilder/Lehrer, der bereits digitale Unterstützung, wie z.B. das Online-Portal GEORG in der Ausbildung einsetzt. Zusätzlich zu dem vorhanden Berufsschulstoff für die einzelnen Ausbildungsberufe können Ausbilder/Lehrer eigene weiterführende Aufgaben einstellen und online den Bearbeitungsfortschritt verfolgen. Damit wird vor allem auch der didaktischen Parallelität genüge getan, denn gerade dann lassen sich Praxisaufgaben aus dem Betrieb zeitlich mit theoretischen Grundlagen aus der Berufsschule in idealer Weise koppeln. Weitere Informationen finden Sie auf: georg.westermann.de

Aber auch die Praxis kommt nicht zu kurz: Rollenspiele, z.B. das Trainieren von Verkaufsgesprächen oder Beratungsgesprächen können mit den Ausbilder auch mit Video-Konferenzsystemen live erlebt und geübt werden.

Handwerkliche Tätigkeiten können sich über Tutorials zumindest optisch angesehen werden, wenn sie auch praktisch nicht eingeübt werden können.

Nicht zuletzt können auch Online-Planspiele, sogenannte Serious Games für die Berufsausbildung eine willkommene Abwechslung im Ausbildungsalltag sein, weil sie von den Auszubildenden allein und Zuhause bearbeitet werden können. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) hat dazu schon vor ein paar Jahren eine sehr gute Multimediadokumentation herausgegeben: https://www.bibb.de/planspielforum
Wie verhindert man als Ausbilder oder Lehrer, dass im gemütlichen Homeoffice vom Sofa aus nicht die Ernsthaftigkeit verloren geht?
Frau Mohamed-Ali: Indem man bewusst öfter den Prozess der Selbstreflexion unterstützt, Feedback gibt und Kontrolle ausübt. Alle Ausbilder haben in ihrer eigenen „Ausbildung zum Ausbilder“ Feinlernziele für die Ausbildung formulieren müssen. Dies geht im Ausbildungsalltag aber zu 99% schnell wieder verloren.

Bei der Führung auf Distanz wird aber genau das wieder enorm wichtig: Die Auszubildenden müssen ganz genau wissen was, wann, bis zu welchem Termin erledigt werden muss. „Hausaufgaben“ müssen erledigt werden, egal ob in der Schule oder im Homeoffice. Das heißt auch die Kontrolle durch den Ausbilder wird hier wichtig.
 
Im Feedbackgespräch sollten die Ausbilder dann ganz konkret auch auf die Schwierigkeiten des Homeoffice eingehen und nachfragen:
„Wie schwer fällt es Dir, Dich in Deiner häuslichen Umgebung zu konzentrieren und Dich nicht ablenken zu lassen?“
„Welche Lerntechniken gibt es, um die Selbstdisziplin und die Selbstlernkompetenz zu fördern?“

Und wenn Aufgaben erledigt wurden, ist die Selbstreflexion neben dem Lob und der Wertschätzung ein wichtiges Mittel der Kompetenzentwicklung: „Welche konkreten Kompetenzen hast Du jetzt durch die Bearbeitung der Aufgabe entwickelt?“

Hier unterstützt das Kompetenztagebuch, in dem die laufenden Ausbildungsfortschritte durch die Kombination „Tätigkeit/Aufgabe – entwickelte Kompetenz“ zusätzlich zum Berichtsheft (Ausbildungsnachweis) festgehalten werden können.
 
Am Ende geht es darum, dass die Auszubildenden das Gefühl bekommen „Ich werde nicht allein gelassen, mein Ausbilder ist für mich da“ und wissen, dass ihre Ausbildung auch Zuhause weitergeht und es keine „verlorene“ Zeit ist.
Vielen Dank für diesen Einblick.

Ihre Autorin

Jutta Mohamed-Ali bildete lange Jahre in einem der größten deutschen DAX-Konzerne Auszubildende aus und begleitete dual Studierende. Seit 2016 ist sie selbständig, berät klein- und mittelständische Unternehmen in Ausbildungsfragen und ist so die Schnittstelle zwischen Anforderungen der Wirtschaft und dem, was Schüler an Kompetenzen mitbringen.

Kompetenz-Tagebuch: Begleiter in Schule und Ausbildung

  • zum übergreifenden Einsatz in unterschiedlichen Schulformen und Fächern, für alle Ausbildungsrichtungen geeignet
  • eigenständiges Werkzeug, um den Kompetenzerwerb durch die Schüler/-innen selbständig zu reflektieren, dokumentieren, bewerten und zu dirigieren
  • bietet die direkte Möglichkeit, auf die Forderung nach Kompetenzorientierung in allen möglichen Lehrplänen reagieren zu können
  • macht den Kompetenzerwerb damit für die Schüler/-innen konkret erfahrbar und fassbar
  • ermöglicht, mithilfe dieses Kompetenzportfolios, eine Vorbereitung auf Bewerbung und Beruf