1961-1973: Geographie im Umbruch

Keine Experimente
Mit den zwei Neubearbeitungen zwischen 1961 und 1973 - die eine begann 1961, die andere 1966 - setzte sich zunehmend ein wieder an Sachaussagen orientierter Stil durch. Die Geographiedidaktik bewegte damals das neue und bis heute gültige "exemplarische Lernen", das 1954 ein von der Kultusministerkonferenz eingesetzter Ausschuss zur Minderung der Stofffülle empfohlen hatte. Das "Fallbeispiel" gewann an Bedeutung wie auch das Prinzip, den Stoff mittels "Leitgedanken" auf wesentliche und weniger Merkmale zu reduzieren. Der "Seydlitz" reagierte auf den neuen Ansatz mit gewohnter Zurückhaltung: Er dämmte den Erzählfluss ein, formulierte punktgenauer und hob zentrale Begriffe im Text hervor. Angesichts der Gefahr, dass sich Lücken in dem Basiswissen von der Welt für die Schüler auftun konnten, gab es zunächst keine Konzeptionsveränderung. Ab 1961 stachen vielmehr die nun durchgehend farbigen Fotos, Karten und Zeichnungen ins Auge. Der Absatz dürfte beachtlich gewesen sein: Über 2,6 Millionen Mal wurden die Bände des "Seydlitz" zwischen 1951 und 1966 gedruckt.

Wandel des Faches

Deutlichere Spuren hinterließ die sich wandelnde Aufgabenstellung der Geographie, die sich 1960 in der Saarbrücker Rahmenvereinbarung der Kultusminister zur Oberstufe anbahnte. Im Zeichen der Gemeinschaftskunde und der politischen Bildung wurde der dynamische Aspekt der Beziehung Mensch-Raum und die Sozialgeographie in den Oberstufenbänden ab 1964 stärker betont. Industrialisierung, Verstädterung, Strukturwandel oder die Entwicklungsländer wurden dargestellt mit dem einen oder anderen Raumbeispiel. Durchgesetzt hat sich das Lernen am Beispiel in den "Seydlitz" Bänden ab 1971, als die Schulgeographie ihren wohl tiefsten Umbruch seit dem 19. Jahrhundert erlebte: Auf der Tagesordnung standen gesellschafts- und handlungsrelevante Strukturen und Prozesse der Gegenwart sowie der an Lernzielen orientierte Unterricht. Die thematische Geographie begann die Länderkunde abzulösen. Qualifikationen wie das Problemlösen und fachspezifische Kulturtechniken waren gefragt wie das Arbeitsbuch, konzipiert für das "entdeckende Lernen".
Der "Seydlitz" blieb weiterhin der Länderkunde treu, zeigte aber mit beispielhaften Räumen "Mut zur Lücke", nutzte mehr Quellentexte und hob zentrale Problemfelder wie Kolonialismus oder Landschaftszerstörung hervor. Die Rubrik "Zum Nachdenken und Diskutieren" führte über den vorformulierten Stoff hinaus.

Heimat für Andere

Auch der politische Klimawandel machte sich bei der Behandlung der ehemaligen deutschen Ostgebiete, besonders der polnischen Teile, bemerkbar. Ausgerichtet auf "gegenseitige Verständigung" kamen die Mitverantwortung Preußens und die Schuld des "nationalsozialistischen Gewaltregimes" an seiner leidvollen Geschichte 1965 zum Ausdruck. Die Geschichte der deutschen Bevölkerungsgruppen geriet zu einem historisch abgeschlossenen Kapitel mit immer weniger Grunddaten. Die "unvergessene deutsche Heimat im Osten" war - so der Grundtenor - zur Heimat ihrer neuen Bewohner geworden. Im Focus stand eine unter dem Strich positive Aufbaubilanz seit 1945.
Im Zeichen der Völkerverständigung:
das UN-Gebäude in New York auf dem Einband von 1965

Von nun an ganz in Farbe:
Lagebild von Kapstadt

Der Seydlitz-Strich ist wieder da:
Gliederung und Landbauzonen Chinas

Zahlreiche Bildkarten und Blockbilder: Querschnitt von Bolivien